Ich habe dieses Zitat von Kalil Gibran gesehen und möchte es an den Anfang meiner Ausführungen stellen:
„Zwischen dem, was gesagt, aber nicht gemeint ist, und dem, was gemeint, aber nicht gesagt ist, geht die meiste Liebe verloren.“
Wer in Partnerschaft lebt, weiß aus eigener Erfahrung um die Verletzlichkeit in der Liebe. Es gibt eine Sprache, die die Liebe belastet und es gibt eine Sprache, die die Liebe zum Blühen bringt.
Der Argentinische Tango kennt beide und mit seinem Wesen hilft er dem Paar, die zweite Sprache wiederzufinden.
Am Anfang, wenn Paare beginnen Tango zu lernen, werden normalerweise viele Worte ausgetauscht. Meist gehen sie darum, wie der Mann oder die Frau, was anders machen soll, wie es richtig sei, zu führen oder zu folgen, oder wie Schritte zu setzen seien, dass es sich schön anfühlt…
Geschieht das liebevoll, mit Neugierde und Offenheit wird dabei oft etwas Wesentliches zusammen entdeckt. Ohne diese Haltung werden Worte schnell zu Vorwurf und Kontrolle.
Mich interessiert über die Jahre immer mehr der Tango selbst, als weiser und sinnlicher Beziehungslehrer für Paare, die schon länger miteinander leben.
Die Magie des Tangos, so paradox es klingen mag, entfaltet sich für mich dann, wenn es keine Worte mehr gibt – in der Stille!
In der Stille des eigenen und des anderen Herzens!
Diese Stille ist zutiefst lebendig und intim und braucht keine Worte, um verstanden zu werden. Im Gegenteil, Worte würden diesen heiligen Raum unter Umständen, unterbrechen.
In der Stille der Herzen wird alles geboren, was das Geheimnis des Tangos ausmacht: wie Mann und Frau sich von der Musik bewegen lassen, einander fließend führen und folgen. Wie sie sich spüren und berühren zu Bewegungen, von denen sie nicht wussten, dass sie diese in sich haben, oder wie oft gegangene Schritte plötzlich zu einer frischen Quelle von Freude und Attraktivität werden.
Ich sehe es immer wieder staunend und berührt: Diese gemeinsam sinnlich erfahrene körperliche und seelische Hingabe zum Tango und seiner Musik, vertieft die Liebe und lässt das Paar leuchten.
Ich konnte meine Frau zum ersten mal leicht führen!
Wir waren uns den ganzen Abend wortlos nah!
Ich habe sie wieder zum Lachen gebracht.
Ich habe mich ihm überlassen können und es war sehr schön.
Ich fühle mich wieder als Frau und sehe ihn als meinen Mann.
Das sind Erfahrungen von Paaren, mit denen ich arbeite, die sich über den Tango näher kommen und etwas für ihre Beziehung tun wollen.
Natürlich bleibt es nicht nur so, im Alltag wird es wieder wortreicher oder stummer und zeitweise verliert sich das Paar wieder.
Doch diese Erfahrung, die das Paar im Tango macht, ist eine körperlich und seelische, die sich über die Zeit des gemeinsamen miteinander Seins in der Stille, im Üben und Tanzen, verinnerlicht und ihre eigene geheimnisvolle Wirkung auf das Paar hat.
So kann ein Mann, der es sonst seiner wortreichen Frau kaum recht machen kann, plötzlich in der stillen Umarmung des Tangos, einen Tanz führen, der seine Frau berührt und sie ihm deshalb gerne folgt. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen und fühlt wieder Respekt für ihn. Er fühlt seine Aufrichtung und Führungsqualität und merkt, dass er damit gemocht ist.
So kann eine Frau, der ihre Unabhängigkeit wichtig ist, erfahren, dass sie sich ihrem Mann im Tango überlassen kann und sie dabei an Schönheit und Weiblich sein gewinnt und nichts verliert.
Mir scheint, der Tango berührt und bewegt in Mann und Frau Wesentliches, das Natürliche, die Sinne öffnen sich und empfangen den Duft der Haut, die Zärtlichkeit der Umarmung, die Berührung der Körper und innen wird es warm, weit und leicht. Er ermöglicht zu erfahren, was frei von Prägung und Verletzung ist und was das Verletzte und Geprägte in der liebevollen Umarmung mithält, so, dass sich etwas tiefer in uns entspannen kann und sich die Herzen angekommen fühlen.
Das ist die Basis für mich, auf der sich dann im Paar auch wieder Worte finden, die der Liebe dienen. Wenn ich auf die Paare schaue, die in diesem Jahr das Angebot für sich angenommen haben, sehe ich Begeisterung, interessiertes Lernen und das Ringen umeinander, wenn etwas noch nicht gelingt. Ich erlebe, wie sich Herzen öffnen, wenn etwas Unausgesprochenes ausgesprochen werden kann, wenn etwas Belastendes miteinander gehalten wird, wenn das, was wahr ist, aufscheinen kann und willkommen ist, wenn ein nicht Können wohlwollend angeschaut wird. Ich sehe leuchtende Augen und berührte Paare, die sich nahekommen.
Das hat für mich eine Sinnlichkeit und Schönheit, die man nicht machen kann, die ich als schlicht, ehrlich und für jedes Paar einzigartig empfinde. Der Tango, der dann getanzt wird, ist ein ganz anderer, als ohne diese tieferen Berührungen.
Mir ist wichtig, dass sich in meiner Arbeit der Raum für das Wesentliche im Miteinander des Paares öffnen kann.